Kratzekind

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Depression & Co. - Neurodermitis-Patienten & ihre Familien

Alle Kratzekinder haben mindestens eins gemeinsam: sie kratzen sich; und das meist morgens, mittags, abends und - nachts. Kaum einer dieser kleinen Patienten kann in aktiven Zeiten der Neurodermitis stillsitzen (daher wird auch nicht selten, jedoch oft zu Unrecht, ADHS diagnostiziert), entspannen oder durchschlafen.

Gleiches gilt für die Eltern (und ggf. Geschwister), die in aktiven Zeiten der Erkrankung fix und foxi sind von all dem Stress, dem Mitleiden mit ihrem Baby, dem Druck ("Wie sieht denn bitte die Haut Deines Kindes aus - Das muss sich doch in den Griff kriegen lassen!"), der Unsichherheit ("Wie helfen wir unserem Kind nur?!") und dem schlechten Gewissen ("Warum wir? Warum unser Kind? Was haben wir wohl falsch gemacht?" - Nichts!). Wie oft liegen da in Familien eigentlich die Nerven blank? Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Ziemlich oft!

Das bestätigt jetzt auch eine neue Studie zur Lebensqualität von Neurodermitikern, die die Eczema Society of Canada durchgeführt hat. Über 1000 Betroffene, darunter fast 700 Eltern von Kindern mit mittlerer bis schwerer atopischer Dermatitis, wurden zu Therapiezufriedenheit und Lebensqualität befragt. Die Ergebnisse sind aufschlussreich und alarmierend zugleich.

Hohe Unzufriedenheit mit aktueller Therapie

Zermürbende 85% der Kratzeeltern sind nicht der Ansicht, die atopische Dermatitis ihres Kindes unter Kontrolle zu haben. Obwohl 96% der kleinen Patienten bereits mit Kortison behandelt wurden, sind nur 22% der Eltern mit den Ergebnissen zufrieden (immunsupressive Calcineurinhemmer, wie z.B. Elidel oder Protopic, kamen nicht besser weg: lediglich 9% der Eltern, die mit Immunsupressiva gearbeitet haben, gaben an, sehr zufrieden mit ihrer Wahl zu sein). Diese Zahlen sprechen nicht per se (nur) gegen diese Medikamente, sondern stellen darüberhinaus auch das Erwartungsmanagement der Eltern (ggf. durch den behandelnden Arzt) in Frage. Eltern hoffen immer wieder, dass sich durch die Anwendung dieses oder jenes Medikaments die Neurodermitis in Luft auflöst oder sich endlich verwächst. Umso  enttäuschter sind sie, wenn der nächste Schub um die Ecke kommt (obwohl diese Intervalle ja leider gerade chronische Krankheiten wie die atopische Dermatitis auszeichnet..). Bei jedem 2. Kratzekind wurden schon 10 oder mehr unterschiedliche Arzneimittel angewendet - anscheinend in weiten Teilen erfolglos, denn für 80% der Eltern ist die Behandlung der Neurodermitis weiterhin schwierig ('challenging').

Mangel an Lebensqualität  

Die nachvollziehbare Frustration von Kratzeeltern über fehlende (Ab-)Hilfe und ausbleibende Besserung der Erkrankung ihrer Kratzekinder drückt erheblich auf die Lebensqualität sowohl der Kratzekinder als auch Ihrer Familien.

Über 50% der Studien-Teilnehmer und Teilnehmerinnen gaben an, die Dermatitis habe einen negativen Einfluss auf ihr gesamtes Familienleben. 7 von 10 Kinder haben Schlafedefizite, jeder 3. kleine Neurodermitiker hat aufgrund seiner Erkrankung entweder mit erheblichen Einschränkungen beim Sport oder mit Ängsten diesbezüglich zu kämpfen; jedes 3. Kind meidet zudem soziale Aktivitäten (29%) und jedes 5. Kind muss wiederholt aus der Schule genommen werden - wegen der Neurodermitis. Diese Ergebnisse sind erschütternd.

Was das zudem für Eltern physisch, organisatorisch, finanziell aber insbesondere emotional bedeutet, kann man sich vorstellen: 55% der fast 700 teilnehmenden Eltern leben selbst dauerhaft mit signifikanten Schlafdefiziten. 30% haben mit den finanziellen Belastungen durch die Neurodermitis zu kämpfen. Fast 70% der Erziehungsberechtigten leben in akuter Sorge und Angst um ihr Kind und 63% leben in ständigem physischen, psychischen oder emotionalen Stress aufgrund der atopischen Dermatitis. Da kann es einen kaum mehr verwundern, dass 25% aller Kratzeeltern aufgrund der neurodermitischen Erkrankung ihres Kindes unter Depressionen leiden - für jede 4. Kratzemama bzw. Kratzepapa wird die seelische Belastung einfach irgendwann zu groß.

Das macht mich traurig. Und wütend! Denn es gibt doch so vieles, was das Gesundheitssystem und die Gemeinshaft tun können, um betroffenen Kindern und ihren Familien zu helfen. Das fängt mit der notwendigen Aufklärungsarbeit an und geht über die systematischere und ganzheitliche  Unterstützung und Vernetzung Betroffener (sowohl untereinander als auch flächendeckend mit Fachpersonal) bis hin zur stärkeren Subventionierung von Grundlagen- und ND-Therapie-Forschung. Und so vieles mehr!

Mit Blick auf derartige Studien-Ergebnisse sollte man Kratzefamilien nicht noch länger allein im Regen stehen lassen, sondern, bevor sich Schatten auf die Seele legen, dafür Sorge tragen, dass Kratzekinder und ihre Angehören die Hilfe bekommen, die sie benötigen, um mit der Erkrankung kurz- und langfristig bestmöglich umgehen zu können.