Kratzekind

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'Mein Kind hat Neurodermitis' - Krankheit verpflichtet oder?

"Das Schlimmste an meiner Erkrankung ist, dass meine Eltern Null Verständnis für mich haben. Sie maulen mich die ganze Zeit nur an, dass ich nicht so viel Cremes verschwenden solle...weil sie so teuer sind."

Diese Nachricht, die mich diese Woche erreicht hat, berührt mich. Macht mich traurig. Und wütend. Hmpf. Das Mädchen, von der die Nachricht kam, ist 17 Jahre alt. So wenig Interesse und Verständnis von den eigenen Eltern zu erhalten - das muss weh tun...was macht das Ignorieren der Erkrankung seitens der Eltern mit einem Kind über die Jahre (seelisch aber auch körperlich)? Dabei sind wir Eltern doch unter allen erdenklichen Maßstäben (moralisch, gesetzlich, sozial..) dazu verpflichtet den Kindern beizustehen!

Zugegeben - es ist alles andere als einfach durchzublicken, was es mit der Neurodermitis auf sich hat. Diese komplizierte und komplexe Thematik fordert Eltern - und kann auch überfordern. Zu verstehen, wo die Erkrankung herkommt, wie sie sich entwickelt, welche Therapie zu welchem Erscheinungsbild passt, wie Allergien mit hineinspielen oder wie vielseitig die Schweregrade der Neurodermitis und Umgangsformen damit sind - wenn Forscher und Mediziner noch keine 100%ige Klarheit über die Atopie haben, wie sollten wir Eltern da durch den Fach-Chinesisch-Dschungel an Literatur und Meinungen durchsteigen? Cremen oder besser gar nicht cremen*? Die Krankheit von Außen oder von Innen bekämpfenAlternativmedizin oder Schulmedizin - oder am Besten beides? Der Erkrankung Aufmerksamkeit schenken, ja, aber bitte nicht zu viel und schon gar nicht zu wenig!? Sonne ja oder nein? In der Stadt wohnen oder vielleicht doch direkt ans Meer ziehen?!

Wer sagt, es gebe ein Problem?!

Manchmal möchte man sich am liebsten wie die drei Affen verhalten, nichts hören, nichts sehen - gibt es überhaupt ein Problem!? Neurodermitis der Kinder ist eine immense Aufgabe für Eltern. Und manche drücken das Thema aus Überforderung einfach weg. Zudem haben bei Weitem nicht alle Eltern, sei es aus ökonomischen, sozialen oder intellektuellen Gründen, die Zeit, die Kapazität oder auch das Geld (Ja, Neurodermitis ernst zu nehmen kostet leider auch Geld!) in die Tiefe einzutauchen. Das verstehe ich zu einem gewissen Grad.

Und dennoch: Es gibt heutzutage Mittel und Wege sich kostenfrei und vielseitig zu informieren. Zum Beispiel bin ich erst letzte Woche wieder über eine hervorragende Veröffentlichung gestolpert: Die Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA) informiert in einem aktuellen Sonderheft, das ich Euch sehr ans Herz legen kann, sehr umfassend über das Krankheitsbild Neurodermitis. Die Forschung findet fast täglich neue Ansätze und entdeckt ungeahnte Zusammenhänge im Forschungsgebiet der Atopie. Dranbleiben, irgendwann liest sich die Fachliteratur wie ein Krimi! Und es gibt Unterstützung (ja, nicht alles übernimmt die Krankenkasse aber in vielen Foren, Vereinen und Vereinigungen on- oder offline erfährt man, wie und wo Anträge gestellt werden können für Kuren oder auf Schwerbehinderung, welche Medikamente auch rezeptfrei Hilfe leisten können usw.). Es kostet Mühe sich hineinzufuchsen - aber die Arbeit lohnt sich. Es ist doch das eigene Kind, das leidet - wie sollte man das ignorieren können? Es bleibt mir ein Rätsel.    

Immer an die eigene Nase fassen

Auf der anderen Seite sind solche traurigen Nachrichten wie die des Mädchens oben, nicht nur Grund für Zorn und Aufplusterei ("Wie kann man nur!" - heißt im Umkehrschluss: "Also, ich bin ja sooo eine tolle Mega-Mama!"), sondern gleichermaßen auch immer wieder 'Wachrüttler' und Wake Up-Calls, mir an die eigene Nase zu fassen: Wie viel Empathie bringe ich meinem Kind entgegen im täglichen Kratzewahnsinn? Hätte ich gestern wieder so entnervt reagieren müssen als unser Kratzekind - galant formuliert - 'kein Interesse' an der Basispflege hatte? Schenke ich Raupe, dem Kleinen, auch genug Aufmerksamkeit? Bin ich achtsam genug, ihre Bedürfnisse in Haut- aber auch und vor allem in Hauptsachen zu erkennen, z.B. nach Zuwendung ("Och nö, die Mama hat jetzt grad keine Zeit"), Entfaltung ("Wieso Tanzen?! Skateboardfahren ist doch viel cooler für Jungs als Tanzen lernen!"), Sicherheit, Wertschätzung ("Ja, tolles Bild,...gähn"), Sie-selbst-sein-können (und nicht sie-das-sein-lassen-was-ich-will).

Arroganz anderen Kratzeeltern gegenüber bringt auf gar keinen Fall irgendwen weiter. Deshalb bin ich auch vehement gegen diese Kratzemama-Streitereien, denen man immer wieder im Netz begegnet ("OMG, Du hast schon mal Kortison angewandt, wie kannst Du nur, Du Rabenmutter! Dich lasse ich erstmal in 23 Neurodermitis-Gruppen und -Foren online sperren, da können wir Kortison-Muttis nicht gebrauchen!"). Gegenseitige Unterstützung. Aufklärung. Verständnis füreinander. Immer wieder ermuntern zum Lesen, Austausch, Eintauchen in die schwierige Materie. Auf dass es irgendwann keine Kratzekinder mehr gibt, die sich von ihren Eltern mit ihrer Erkrankung alleingelassen fühlen. 

 

 

*Für uns ist Cremen definitiv der richtige Weg - auch wenn ich andere Wege natürlich voll und ganz akzeptiere, jeder muss hier seinen Weg für sein Kind finden. Seit wir mit der konsequenten Basispflege begonnen haben, sehe ich - auf lange Sicht dh. über zwei Jahre! - signifikante Fortschritte. Wir sind seit 5 Monaten kortisonfrei - das ist so unglaublich, dass ich vor einem Jahr davon nicht hätte zu träumen gewagt. Dazu schreib' ich dann den nächsten Post :-)